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Eindrücke von meinen Ideen

Ich habe auf dieser Seite eine Geschichte eingestellt.
"In 80 Jahren um die Welt...ein Koffer erzählt"
Da ich leider nicht die Möglichkeit habe, einen Link zu integrieren, habe ich den Text einfach so hier reinkopiert.
Wem der Text gefällt kann diesen einfach kopieren und in ein eigenes Dokumentiert integrieren.
Bis jetzt sieht es leider so aus, dass ich den Quelltext der Homepage umschreiben müsste, um einen Link zu integrieren.
Da ich davon jedoch keine Ahnung habe, lasse ich die Finger davon.
Es geht ja auch so.
Das Gedicht "Meine Stadt" findet ihr in gleicher Weise auf der Seite "Tatort".

Hier nun....

In 80 Jahren um die Welt…ein Koffer erzählt

Da stehe ich nun, in zweiter Reihe beim Antiquitätenhändler, hinter einem Paravent.Ich muss mich anstrengen, um durch das Holzgeflecht dem Treiben auf der Strasse, vor dem Schaufenster folgen zu können.
Na ja, immer noch besser als auf dem miefigen, staubigen Speicher, von dem mich der Inhaber dieses Ladens gestern geholt hat. Mein letzter Besitzer hatte mich wohl in der Zeitung annonciert, mich einfach verhökert, wahrscheinlich für viel zu wenig Geld. Hauptsache, er war mich los, Frechheit und das an diesem Tag. Gestern war mein achtzigster Geburtstag oder wie man dieses Jubiläum bei einem Koffer nennt.In jedem Fall waren es achtzig aufregende Jahre, auch wenn die letzten Reisen in ferne Länder nun schon einige Zeit zurückliegen.
Wenn ich so an mir herunterschaue, na ja, mein bewegtes Leben kann ich nicht leugnen. Manche Ausbesserung und Reparatur musste ich ertragen. Das einzige unveränderte Teil an mir ist noch der Trageggriff. Eigenartig, obwohl das die Stelle ist, an der ich am häufigsten begrabscht worden bin.
Auf der ersten Reise mit dem Dampfer nach Übersee war es mir zu Beginn recht langweilig. Ich begleitete damals ein frisch verheiratetes Paar.Man nahm sich nicht einmal die Zeit mich vollends auszupacken. Die beiden waren mit sich viel zu sehr beschäftigt. Ich bekam davon zwar nichts zu sehen, da ich mit den Schlössern zur Bordwand geschoben wurde, doch nachts hörte ich deutlich ihr Gurren, Zwitschern und Lachen. So kam ich selber kaum zur Ruhe.
Ich war froh als das Schiff nach knapp zwei Wochen endlich in New York anlegte.

Auf dem Weg von Bord konnte ich sogar einen Blick auf die Freiheitsstatue erhaschen; wirklich gigantisch!
Als ich mir gerade die Schlösser nach diesem Denkmal verrenkte passierte es. Der junge Ehemann, der mich trug, verfehlte eine Stufe auf der Treppe hinunter zum Kai.Er schlug nach hinten, ließ mich los und suchte Halt am Geländer. Seine Frau stieß einen spitzen Schrei aus und warf die Hände in die Luft, während ich unter lautem Gepolter herabstürzte. Es fühlte sich an als hätte ich jede Stufe doppelt erwischt.Dann machte ich auf der vorletzten Stufe einen großen Satz und schlug so feste aufmeinen Griff, das ich mich nicht mehr zusammenhalten konnte und mir beide Schlösser aufsprangen. Der gesamte Inhalt ergoss sich dabei auf das Pflaster und begrub einen erschrockenen Zwergpinscher unter sich, der laut kläffend, in ein rosa Nachthemd verschlungen das Weite suchte. Ich kam mir ganz schön verbeult vor.Mein rechtes Schloss hatte den Sturz nicht überstanden und musste ausgetauscht werden. Dann kam es wie so oft. Es krachte das erste Mal in der noch jungen Ehe meiner Besitzer. Der Grund; er hatte bei einem Treffen mit einem entfernten Verwandten deren Schwester kennengelernt, und es hatte wohl direkt gefunkt, auch unterhalb der Gürtellinie. Irgendwie hatte seine Frau Wind von diesem Stelldichein bekommen.

Hals über Kopf wurde ich gepackt, und ab ging es mit der Bahn nach Südamerika, nach Uruguay. Dort wohnte ein Onkel der betrogenen Ehefrau. Damals war es nicht so einfach mit den Zugverbindungen wie heute. Mit diversen Zwischenaufenthalten und Passkontrollen dauerte das ganze mehr als eine Woche. War zwar ganz schön anstrengend, zig mal umsteigen, Rasten auf schmutzigen Bahnsteigen, doch sehr interessant. Viele, laute Menschen mit vielen, lauten Kindern. Manche mit dunkler Hautfarbe und Männer mit Sombreros. Hin und wieder tropfte Frau Herkenrath, so hieß die Dame, einige Tränen auf meinen Deckel. Diese hinterließen kleine Kränze, denen man später mit brauner Schuhcreme zu Leibe rückte.
Dann war die Reise endlich zu Ende. Ich erkannte auf einem weißen Schild mit schwarzer Aufschrift – Montevideo -. Hier sollten wir dann von einem Chauffeur abgeholt werden. Es herrschte arges Gedränge auf dem Bahnsteig. Vorne am Ausgang hielt ein Mann in Uniform ein Schild hoch, auf dem in großen handgeschriebenen Lettern‚ -Frau Heckenrath- zu lesen war. Meine Besitzerin erkannte es nach einigem Suchen und eilte sich, den Chauffeur zu erreichen. Ich machte mich so breit wie ich konnte, um uns den Weg zu bahnen. Wer nicht ausweichen wollte wurde weggerempelt. Doch es war in Südamerika wie überall auf der Welt. Wo Getriebe herrscht sind dunkle Gestalten unterwegs, die plötzlich auftauchen, zuschlagen, um genau so unbemerkt wie sie erscheinen, wieder in der Anonymität der Masse zu verschwinden. Und so geschah es. Kurz bevor wir den Herren mit dem falsch geschriebenen Schild erreichten, versperrte mir jemand die Sicht. Ein Zweiter kam hinzu und riss mich aus der Hand meiner Besitzerin. Die schrie laut um Hilfe. Ich versuchte mich bockig zu stellen, machte mich breit und klappte meinen Griff ein, damit es dem Dieb schwerer fiel, mich zu rauben, doch alles ohne Erfolg. Er klemmte mich unter den Arm und rannte so schnell los, dass ich gar nicht recht erkennen konnte, wohin es ging.
Der Bahnsteig hüpfte vor meinen Schlössern auf und ab. Die aufgeregten Stimmen verschwammen mit dem Pfeifen und Schnauben der Lokomotiven, wurden von anderen Rufen und Gelächter übertönt. Selbst die schrillen Hilfeschreie von Frau Herkenrath, waren bald nicht mehr zu hören. Dann ging es bergab und es wurde plötzlich dunkel. Man legte mich unsanft ab, genau genommen warf man mich auf den Boden, zerrte an meinen Schlössern herum und öffnete mich geradezu gewalttätig. Plötzlich, aufgeregtes Stimmengewirr. Es schienen drei Männer in einer fremden Sprache lautstark zu diskutieren und begannen, meinen Inhalt zu durchwühlen. Schließlich drehte mich einer um, so dass mir richtig schlecht wurde. Als der gesamte Inhalt herausgefallen war, befummelte er mit seinen groben Händen meine Innenseite. Anscheinend fand er nicht das, was er suchte und trat mich laut fluchend in die Dunkelheit. Die Kerle diskutierten noch einen Moment aufgeregt, bevor sie sich entfernten und mich dort im Dreck liegen ließen.

Klasse, jetzt war ich ganz alleine und konnte nur das leise Zwitschern eines Baches oder Rinnsales hören, der sich irgendwo in der Nähe seinen Weg bahnte. Ich gewöhnte mich allmählich an die Dunkelheit. Es raschelte; da sah ich direkt vor mir eine zottelige, graue Ratte, ein Riesenvieh. Nicht genug, dass der Nager an sich schon recht eklig aussah, die Ratte kletterte auch noch in mich hinein und versuchte, es sich bei mir bequem zu machen. Das war mir jetzt entschieden zu viel. Ich musste irgendetwas tun. Da kam mir der rettende Gedanke. Ich zwirbelte solange an der Verbindung des Gurtes herum, der im Normalfall die Kleidungsstücke zusammen hielt, bis der Haken gerade noch auf dem letzten Zacken hing. Dann gab ich ihm einen kleinen Ruck. Der Haken löste sich, schnellte nach vorne und traf die Ratte genau am Kopf, die wie von der Tarantel gestochen, laut quiekend aus dem Koffer schoss und so schnell wie möglich, wenn auch ein wenig bedröhnt, das Weite suchte.
Pah, das hatte sie nun davon! Hoffentlich war es ihr und ihren Artgenossen, von denen sich bestimmt noch einige hier herumtrieben, eine Lehre. Doch weit gefehlt. Der Nager, den ich eben noch verjagt hatte, kehrte zurück, und er war nicht alleine. Er hatte noch drei Spießgesellen mitgebracht. Sie näherten sich wie die Schläger einer Strassen-Gang, die einen in eine Ecke drängen, um dann gemeinsam über das wehrlose Opfer herzufallen und es auszurauben. Sie kamen
näher. Die erste Pfote schob bereits ihre Krallen über meinen Rand. Mein Deckel knarrzte vor Furcht, und die Schlösser klapperten. Ich war starr vor Angst. Da hörte ich Stimmen, noch weit entfernt, doch sie näherten sich rasch. Die Ratten warfen gleichzeitig die Köpfe herum und verharrten gespannt. Im trüben Licht des Tunnels sah ich drei Gestalten näher kommen, die johlten und lachten.
Es mussten Kinder sein. Sie kamen an der Stelle vorbei, an der man mich zuvor hatte liegen lassen. Sie waren fast vorbei als mich ein Junge aus dem Augenwinkel entdeckte und stehen blieb. Er rief die anderen beiden, die bereits ein Stück vorausgeeilt waren. Die Ratten wichen zwar zurück, blieben jedoch standhaft. Einer der Jungen entdeckte sie in Dämmerung und trat nach ihnen. Eine Ratte erwischte er seitlich. Sie machte einen Satz und klatschte neben mir gegen die Wand. Sie quiekte laut auf, dass es mir in den Beschlägen summte und ergriff genau wie ihre Kumpane die Flucht. Puh, das war erst mal geschafft.
Einer der Jungen untersuchte mich nun und beriet die Sachlage mit seinen Freunden. Man kam offensichtlich zu dem Entschluss, mich für brauchbar zu erachten, klappte mich kurzerhand zu und nahm mich mit. Ich möchte sie nun nicht mit den Einzelheiten der darauf folgenden Wochen langweilen. In jedem Fall hatten die Kinder beschlossen, mich zu Geld zu machen.
Sie hatten mich auf einem Wochenmarkt in der Stadt verkauft, an einen älteren Herrn, unrasiert, in verschlissenem, grauem Anzug. Wohin die Reise wohl jetzt wieder ging? Zuerst einmal in einen dunklen, muffigen Keller, in einem Hinterhaus, bis zum Dach voll mit Flaschen und Kesseln. Es roch wie in einer Kneipe. Dort herrschte geschäftiges Treiben. Mehrere Frauen und Männer waren damit beschäftigt, Flaschen mit dem Inhalt der Kessel zu füllen und zu verpacken. Mir war ziemlich schnell klar, was hier vor sich ging. Alkohol, Schnaps, wir befanden uns im Jahr 1929 noch immer in der Prohibition. In den Staaten dürfte kein Alkohol verkauft, ausgeschenkt und getrunken werden. Doch welche Rolle kam mir hierbei zu?
Ich wurde von einer kleinen, untersetzten Frau jäh aus meinen Gedanken gerissen. Sie packte mich roh und knallte mich auf einen Tisch. Sie riss meinen Deckel auf und begann meine Abmessungen mit einem Bandmaß zu bestimmen. In der Folge wurde dann eine Art Einlegeboden erstellt und bei mir eingebaut. Ich konnte mir denken was dann passieren sollte. Sechs Flaschen mit dunkler Flüssigkeit, mit Holzwolle und Sägespänen zur Polsterung, wurden nun unter den Zwischenboden gelegt. Dieser wurde dann mit Metallklammern gut verschlossen. Nun wurden Kleidungsstücke darauf gelegt, ich wurde zugeklappt, fertig.
Kaum zu fassen, jetzt war ich ein Schmuggler, ja, ein Krimineller, auch wenn ich es nicht wollte. Mit gefangen, mit gehangen.

Und wieder ging es mit dem Zug weiter und zwar wieder zurück in die Vereinigten Staaten. Dieses Mal jedoch nur bis zur Grenze. An beinahe jedem Bahnhof stiegen Menschen zu, auch mit stabilen Koffern und warfen einander vielsagende Blicke zu, oder tuschelten kurz miteinander. Mir war klar, das mussten Gauner mit der gleichen Absicht und dem gleichen Ziel sein, Schmuggler, Räuber, Tagediebe. Ach, was fühlte ich mich unwohl in meinem Leder.
Das Paar mittleren Alters, dass mich als getarntes Reiseobjekt mit sich führte, stieg unbeobachtet bei einem Zwischenhalt kurz vor der Grenze aus. Auch andere Verdächtige, die mir zuvor bereits aufgefallen waren, sprangen aus unterschiedlichen Waggons und flüchteten dann eilig in die Nacht. Die Flaschen gluckerten und holperten in meinem Innern, dass ich ganz seekrank wurde. Dann wurden uns von einer kleinen, hellen Hütte aus, die ich im Mondlicht erkennen konnte, Lichtsignale zugespielt. Das Paar freute sich offensichtlich und beschleunigte seine Schritte.
Anscheinend waren die Beiden hier verabredet. Dann erreichten wir das Gebäude.
Es war still. Der Mann, der mich trug, rief einen Namen, doch es folgte keine Reaktion. Das Paar betrat die Hütte, und dann ging es „holterdiepolter". Vier Männer in Uniform sprangen hervor. Jeweils zwei stürzten sich auf den Mann und die Frau.
Gerade die kämpfte wie eine Löwin und versuchte sich mit Tritten und Schlägen, Freiheit zu verschaffen. Schließlich bekam sie von einem der Polizisten einen Schlag mit einem Knüppel auf den Kopf und versank in unvorhergesehenen Träumen. Der Mann wehrte sich nicht, stand resigniert, mit gebeugtem Kopf und hängenden Schultern da und ließ die Leibesvisitation über sich ergehen.
Mich hatte man ihm sofort abgenommen und untersucht. Wenig später fuhr ein Fahrzeug vor, ich vermutete ein Polizeiauto und nahm die wieder zu Bewusstsein gekommene Schmugglerin und ihren Mann in Handschellen mit. Ah, jetzt war mir endlich leichter um den Deckel, im wahrsten Sinne des Wortes. Die Schnapsflaschen hatte mir einer der Beamten bereits entnommen und auf einem kleinen Tisch aufgebaut. Sie leuchteten golden im Licht der Petroleumlampe, die nun die Hütte ein wenig erhellte.
Stimmengewirr näherte sich von draußen. Zwei ziemlich abgerissene Typen traten ein. Die beiden Polizisten, die geblieben waren und die Kerle kannten sich hoffensichtlich. Jedenfalls begrüßten sie sich freundlich per Handschlag. Was das wohl nun wieder sollte. Alle Vier schauten auf die sechs Flaschen und gestikulierten wild. Es ging offensichtlich um den Preis der Ware. Den…Moment mal, die Polizisten wollten doch wohl nicht etwa mit diesen Gaunern?! Doch, genau das wollten sie. Sie machten Geschäfte mit Verbrechern, schlimmer noch, sie waren selber welche. Man war sich nach kurzer Zeit einig. Geld und Flaschen wechselten den Besitzer.
Einer der Männer, die den Alkohol erstanden hatten, wollten mich gerade an sich nehmen, doch einer der Polizisten griff ihn feste am Handgelenk und schüttelte bedächtig den Kopf. Der Kerl löste sich aus dem Griff und verstaute die Flaschen in einem Beutel, den er mitgebracht hatte und verließ mit seinem Begleiter fluchend die Hütte. Die Polizisten lachten und scherzten, als sie das Geld untereinander aufteilten.Dann verließen auch sie die Hütte. Die wollten mich doch wohl nicht…beinahe hätten sie mich vergessen, da kehrte der Ältere der beiden um und zog mich eilig mit sich. Dann verschwanden sie mit ihrem Wagen, der hinter der Hütte parkte, in die Nacht. Sie diskutierten, wer von beiden mich denn nun bekäme. Der Ältere hatte das Rennen gemacht, musste dafür jedoch noch einen Teil des Erlöses an seinen Kollegen abtreten.
Die ganze Aufregung hatte mich doch ziemlich mitgenommen, und so dämmerte ich ein, bis die ersten Sonnenstrahlen über meine Schlösser glitten. Was war passiert? Wo hatte man mich hingebracht? Ich lag auf einem Schrank oder sicher eher auf einer Kommode. Das Zimmer in dem ich mich befand wurde von Sonne durchflutet. Blaue Tapete, ein Himmelbett in pastellenen Tönen. Ohne Frage, dies musste das Zimmer eines Mädchens oder einer Frau sein. Hier gefiel es mir. Die Sonne hatte begonnen meine Beschläge aufzuwärmen. Ich fühlte mich wieder wie neu. Doch irgendetwas fehlte. Richtig, mein Einlegeboden war entfernt worden. Gut, der hatte ja auch nichts, in mir zu suchen. Da ging die Tür auf, und es wurde noch ein bisschen heller. Eine wunderschöne junge Frau betrat den Raum, da wurde mir richtig warm um die Spanngurte. Direkt dahinter eine weitere junge Dame, ebenfalls attraktiv aber halt nicht so ganz wie die erste. Sie trug ein schwarzes, unförmiges Gepäckstück in der Hand. So was hatte ich noch nie gesehen. Sah ein bisschen aus, wie eine Frau ohne Kopf und ohne Beine, mit einem viel zu langen Hals. Die beiden scherzten und kicherten hinter vorgehaltener Hand. Es war amüsant den beiden zuzuschauen.Doch interessierte mich eher, was sich wohl in diesem eigenartigen Packstück befand. Ich möchte an dieser Stelle nicht von einem Koffer sprechen. Dafür fehlte es dem Kollegen an…an….na halt schlichtweg an Eleganz, die man mit den Mitgliedern unserer Zunft in Verbindung bringt. Und dann auch noch aus festem Material, sicher Holz.
Na, da musste wohl etwas ganz Wichtiges drin sein. Meine neue Besitzerin, wovon ich nun ausging, obwohl, man wird ja nie vorgestellt, griff unter ihr Bett und holte noch so eine schwarze Schatulle hervor. Oh je, allein unter Wilden! Hoffentlichließ man mich nicht mit denen alleine.
Doch Gott sei Dank blieben die beiden jungen Frauen im Raum. Nun wurde es spannend. Die schwarzen Behälter wurden auf das Bett gelegt und geöffnet. Nun wurden komische Holzkisten herausgehoben, in einer anderen Farbe als ihre Hülle, in einem glänzenden Braunton. Jetzt erinnerte ich mich, so etwas schon einmal gesehen zu haben. Genau, damals auf dem Schiff in die USA, hier wurde jeden Abend zum Tanz gespielt. Und als die Tür der Suite meiner Herrschaften aufstand, sah ich einen Musiker vorübergehen, in schwarzem Anzug. Da wurde dann über den Klang seiner Violine gesprochen. Also, die beiden spielten sicher in einem Orchester oder ähnlichem. Nun wurde an den Geräten herumgestellt und probiert, bis der Klang die Zufriedenheit der Damen erlangt hatte. Dann gab eine den Takt vor, und die andere stimmte ein. Es war eine herrliche Musik. Ich kannte nicht den Namen des Stückes, ich bin da nicht so der Kenner, doch war es so herzzerreißend schön, dass mir das Wasser in die Schlösser schoss.
Am Abend wurde dann gepackt, ich wurde gepackt, und da war auch wieder der Polizist, der mich "erstanden" hatte. Er war wohl der Vater der jungen Frau mit dem schönen, hellen Zimmer. Er half ihr und holte einen großen Koffer vom Dachboden.
Ein dunkelbraunes Ungetüm, beinahe ein Schrankkoffer, dieser Angeber, viel Stauraum aber nichts im Deckel. Wir beschlossen uns gegenseitig zu ignorieren. Allerdings fand ich es völlig übertrieben, dass der Kraftprotz am kommenden Morgen als erster eingeladen wurde, natürlich nur der Größe halber, Nutzung des Stauraums, sie verstehen.
Und verstaut wurde im Dienstwagen des Vaters. Der Geigenkasten der Freundin meiner Besitzerin passte noch mit hinein. Conchita, so der Name der Tochter des Hauses, verabschiedete sich mit einer innigen Umarmung von ihrer Mutter, die noch lange von der Türschwelle winkte, mit Tränen in den Augen. Auch Conchita wischte sich noch kurz ihre Augen trocken, richtete dann jedoch ihren Blick voll gespannter Erwartung der Zukunft entgegen.
Am Bahnhof herrschte reges Treiben, wie gewöhnlich. An Gleis Eins trafen wir dann auf Conchitas Freundin Isabella, die ich gestern bereits kennengelernt hatte. Sie wohnte wohl in der Nähe des Bahnhofs, denn sie war zu Fuß hierher gekommen. Die Koffer hatte der Chauffeur ihres Vaters bereits gestern aufgegeben, gegen eine kleine „Aufwandsentschädigung", versteht sich. Zum Glück betraf mich das nicht. Ich durfte als eine Art Handgepack bei Conchita bleiben. Frechheit, ich und Handgepäck! Nach einem tränenreichen Abschied von Papa, half der noch die Gepäckstücke in die Ablagen des Abteils zu hieven, bis auf diesen großen Koffer, der musste Gott sei Dank in den Gepäckwagen. Kurz darauf ertönte die Pfeife des Schaffners und der Zug rollte los, von Albuquerque nach New York, mal wieder, so viel hatte ich herausgehört. Wieder eine Woche Zug fahren, ich beschloss mich zu erholen und klappte den Griff herunter. Ich weiß nicht, wie lange es gedauert hatte, doch dann wurde es laut. Wo wir bisher in dem Abteil noch alleine weilten, kamen nun noch zwei junge Frauen herein. Man kannte sich offensichtlich und fiel sich gleich um den Hals. Ich versuchte einen Blick aus dem Zugfenster zu erhaschen, doch da war außer Menschen, Qualm und Wegplatten, nichts zu erkennen. Ein kleiner Mann kam herein. Er war vor lauter Gepäckstücken, kaum zu erkennen. Eines nach dem Anderen wurde in der Ablage und in den Netzen verstaut. Nur neben mir war noch Platz. Der kleine Kerl trat aus dem Abteil und kehrte mit einer…..mit einer wahren Schönheit zurück. Sollte ich tatsächlich Glück haben? Ich machte mich so klein wie möglich, damit man den freien Platz neben mir nicht übersehen konnte. Und tatsächlich, der Mann musste meine grazile Reisebegleitung hochheben, um sie sicher neben mir zu verstauen. Es hakte ein wenig, und so sahen wir uns für einen Moment gegenüber, Schnalle an Schnalle, und ich sah eine wunderschöne, schwarze Reisetasche aus matt glänzendem Leder.
Sie war natürlich nicht so breit wie ich, hatte an der Oberseite zwei grazile Tragegriffe und eine wohl geschwungene Verschlusslasche, die mit einem silberglänzenden Schnappschloss, mittig an der Vorderseite eingerastet war. Daneben, zu beiden Seiten eine Einstecktasche, die dem Gasamteindruck noch zur Perfektion verhalf. Mir blieb die Luft weg. Der Moment schien ewig zu dauern und war doch zu kurz. Denn schon wurde sie auf die Gepäckablage, auf den freien Platz zu meiner linken geschoben.
Es war atemberaubend, auch wenn ich sie nur aus dem Winkel meiner Schlösser brtrachten konnte. Sie schien mich nicht wahrzunehmen oder wahrnehmen zu wollen. Es war halt immer das gleiche mit den Frauen. Man musste sich schon mächtig ins Zeug legen, um eine Reaktion hervorzurufen. Ein leichtes Rascheln mit den Tragegriffen, oder ein vorsichtiges Quietschen mit dem Verschluss.
Nicht wie die jungen Dinger heute, aus Kunstleder, mit Zahlenschloss, die einem am liebsten gleich mit einer Seitentasche unter den Tragegriff kriechen. Furchtbar, ohne jeden Anstand. Doch diese Dame war anders.
Zuerst versuchte ich einige Male, den Griff leicht anzuheben und dann wieder nach unten klacken zu lassen; keine Reaktion. Vielleicht mal ein Schloss lösen und wieder vorsichtig schließen; wieder nichts. Nun konnte ich nur noch zum letzten Mittel greifen. Ich löste innen einen Spanngurt und lies den Verschluss gegen den Deckel knallen. Doch auch das fand keine Beachtung meiner schönen Nachbarin auf der Ablage. Ich gab also auf und zog das Innenfutter enttäuscht in Falten.
Dann plötzlich ein leises Geräusch, das ich trotz des Lärmes, den die Damen im Abteil veranstalteten, hören konnte. Ich spähte nach links und sah, wie sich ein Tragegriff ganz sachte vor und zurück bewegte.
Sollte sie mir wirklich ein Zeichen gegeben haben, oder musste sie sich nur neu arrangieren? Conchita hatte mich ziemlich voll gepackt, doch mit all meiner Kraft versuchte ich den Deckel an der rechten Seite leicht anzuheben, ohne dabei angestrengt zu wirken.
Es gelang mir. Was würde jetzt geschehen? Hatte ich mich einfach nur blamiert, oder hatte sie mein Zeichen verstanden. Und tatsächlich, sie antwortete mir mit einem leisen "Klick" des Schlosses auf der Vorderseite.
Das Eis war gebrochen. Auf der ganzen Fahrt bis nach New York konnten wir uns austauschen, warfen uns kurze Gesten zu. Es kam sogar zu kurzen Berührungen, wenn der Wagon sich ab und an in die Kurve legte.
Manches Mal hat man halt Glück, und auf der Schiffspassage teilten wir die gleiche Kabine. Wir hatten uns eine Menge zu berichten. Die Reisetasche war auf ihrer ersten Reise. Ich beruhigte sie und gab ihr, zu verstehen, dass sie keine Angst haben müsse, ich wäre ja schließlich bei ihr. Dann erzählte ich ihr von meinen Abenteuern und fand in ihr eine aufmerksame und interessierte Zuhörerin. Unser erstes Ziel war Frankreich, Paris. Die Stadt der Liebenden. Leider bekamen wir auf der Busfahrt ins Hotel nicht viel von der Stadt zu sehen.
Einmal rief eine der Damen laut aus, „da, der Eiffelturm!" Alles schwang sich auf diese Seite und ein lautes „Oh" und „Ah" erfüllte den Bus. Ich konnte nichts erkennen, hatte aber ohnehin nur Augen für meine zauberhafte Begleiterin. In Paris teilten wir das gleiche Hotelzimmer. Ich war sprachlos vor Glück.
Es war eine wunderschöne Zeit. In den kommenden Jahren durchquerten wir die halbe Welt. Rom, Berlin, Kopenhagen, Prag, Moskau, Johannesburg, um nur die schönsten Reisen zu erwähnen. Wir sehnten jedes Mal die neue Konzertreise herbei, wenn die letzte gerade abgelaufen war und wir uns einige Monate nicht sehen konnten. Man darf ohne zu übertreiben behaupten, wir waren ein richtiges Paar. Auch wenn wir nicht immer die gleiche Gepäckablage oder das selbe Zimmer teilen konnten, so bemühten wir uns doch immer in Blickkontakt zu bleiben, um uns kleine Zeichen der Zuneigung zukommen zu lassen.
Dann jedoch kam der Tag, vor dem ich mich immer gefürchtet hatte. Nach einem Konzert in Stockholm saß Virginia, die Besitzerin meiner Geliebten mit trübem Blick auf ihrem Bett, den Kopf auf die Hände bestützt. Conchita erkundigte sich sofort, was denn los sei, was ihr die Laune so verhagelt hätte. Virgies Antwort lies mir das Futter im Deckel gefrieren. Sie war schwanger. Sie hatte sich mit dem Tubaspieler des Orchesters angefreundet. Na ja, wie das dann halt so ist…. Es war klar, was nun passieren würde. Sie teilte Conchita und den anderen mit, dass sie die Tournee abbrechen und nach Hause zurückkehren müsste. Sie hatte ihren Eltern bereits ein Telgramm geschickt. Für uns brach eine Welt zusammen. Wie sollte es nun weitergehen ohne die Andere, den Anderen. Es war eine sehr unruhige Nacht. Während ich unter das Bett geschoben wurde, stand meine Holde auf einer Kommode. Ich hörte die ganze Nacht das unglückliche Reiben der Tragegriffe an der Verschlussschnalle.
Mir ging es nicht besser, aber es half ja alles nichts. Am darauf folgenden Morgen passierte es dann. Virgie packte hastig alles in die Reisetasche, was keinen Platz in den Koffern gefunden hatte.
Mein Schatz ließ es über sich ergehen, was blieb ihr auch anderes übrig. Sie wirkte heute eher grau als in dem stolzen schwarz, in dem ich sie kennengelernt hatte. Es ging alles so schnell. Ich konnte kaum etwas erkennen. Schnell klappte ich meinen Griff hoch, um den Überwurf des Bettes höher zu schieben und konnte sie nur noch mit einem Gepäckroller um die Ecke biegen sehen. Nicht einmal einen letzten Gruß konnten ich ihr zukommen lassen. Dann war alles still.
Sicher begleiteten Conchita und die anderen ihre Freundin und Kollegin zum Bahnhof oder Hafen. Wie auch immer, es war aus. Die größte Liebe meines Lebens hatte mich verlassen, verlassen müssen.

Ich habe nie wieder jemanden wie sie getroffen.
Sicher, auf den vielen, kommenden Reisen traf ich immer wieder
interessante Reisetaschen, auch ein attraktives Beautycase war dabei. Wir verstanden uns auch auf Anhieb, doch es war nicht dasselbe. Später ging ich in den Besitz eines Matrosen über, musste sogar in den Krieg ziehen und gehöre zu den Überlebenden der Invasion in der Normandie, zum Ende des zweiten Weltkriegs.
Ich habe Staatssekretäre bei wichtigen Verhandlungen begleitet, machte für ein Jahr Station auf der englischen Nordpolarstation und trug die Schlittschuhe einer Eisprinzessin.
Doch in einsamen Nächten, so wie jetzt, wo es langsam dunkel wird, muss ich immer an sie denken, die schönste und grazilste Reisetasche, die man sich vorstellen kann.
Ob es sie wohl noch gibt, wohin sie gerade unterwegs ist, wem sie gehört?
Und wenn ich so an sie denke, an unsere gemeinsame Zeit, dann schlafe ich rasch ein und träume von ihr. Außer, wenn mir die Arzttasche hinten mir wieder auf den Geist geht. Was sie alles erlebt haben will, wem sie das Leben gerettet und was sie durchlitten hat, und dass sie immer noch ein komplettes Arztbesteck in sich trägt, diese Aufschneiderin. Ist mit Sicherheit die Hälfte davon gelogen. Ich frage sie dann nur, ob sie schon mal wirklich verliebt gewesen ist. Dann hält sie gleich die Klappe.
Und ich denke, ich mache für heute auch den Deckel zu und träume wieder von meiner schwarzen Reisetasche und der Zeit, die wir gemeinsam verbracht haben.

Gute Nacht.






 
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